04. Oktober 2022 – Interview (HORIZONT.net von Wolfgang Borgfeld)

SUV tragen nicht zur Lösung der Mobilitätsprobleme bei – Leichtfahrzeuge wie der Renault Twizy und der Microlino schon. Dass SUV in Deutschland gefördert werden, Leichtfahrzeuge aber nicht, kritisieren Mobilitätsexperten als „brutale Marktverzerrung“. Die Forderung: Wer die Mobilitätswende will, muss umweltfreundliche Verkehrsmittel stärken.

Autos werden durchschnittlich mit 1,2 Personen am Tag 45 Minuten bewegt. In Metropolregionen haben 60 Prozent des Autoverkehrs Ziele von weniger als 5 Kilometern, pro Fahrt wird durchschnittlich 13 Minuten nach einem Parkplatz gesucht. Und das alles mit Karossen, die bis zu 3 Tonnen schwer sind.

„Wenn ich dann noch einen SUV als Hybrid-Fahrzeug habe, dessen Batterie nur den Zweck hat, das tonnenschwere Fahrzeug möglichst schnell über die Ampel zu bekommen, und dann schaltet es wieder ab – dann ist das Greenwashing“, schimpft Petra K. Schäfer, Professorin für Verkehrsplanung an der Frankfurt University of Applied Sciences. „Welche Umweltprobleme diese Autos machen, ist vielen Fahrern nicht klar – oder sie wollen es nicht wissen.“

Doch der Marktanteil der SUV beträgt in Deutschland mittlerweile 42 Prozent. Und die Fahrzeuge werden immer schwerer und stärker: „Im Durchschnitt haben die Motoren heute über 118 kW und 160 PS – 1990 waren es 92 PS“, weiß Hans-Peter Kleebinder. Bei den Großen der Branche sieht der Mobilitätsexperte von der Executive School der Universität St. Gallen keinen Anlass, die Modellpolitik zu verändern: „Mit größeren Fahrzeugen ist mehr zu verdienen.“

Kurskorrekturen müssten von der Politik angestoßen werden, sagt Kleebinder: „Wir müssen weg von der rein autozentrierten Industriepolitik hin zu einer Förderung einer umfassenden Mobilitätswende!“ Doch genau da würde es hapern, beobachtet Markus Emmert. „Die Politik in Berlin hat die Mobilitätswende noch nicht verstanden, sie hat nicht verstanden, wie die Mobilität in Zukunft aussehen kann.“ Leichtfahrzeuge würden helfen, viele innerstädtische Probleme zu lösen, ist das Vorstandsmitglied im Bundesverband eMobilität (BEM) überzeugt: „Mit Leichtfahrzeugen hätten wir mehr Platz, mehr Parkraum, weniger Staus und einen eindeutig besseren Verkehrsfluss.“

Das bekannteste Modell dürfte der Renault Twizy sein, der über die 230-Volt-Steckdose aufgeladen werden kann und eine Reichweite von 100 Kilometern hat. Dass es einen Bedarf für kleine Fahrzeuge gibt, zeigt der Blick auf die Kfz-Zulassungszahlen: Unter den Top 25 der BEV-Modelle (die in den ersten acht Monaten 2022 knapp 80 Prozent des Marktes repräsentieren) werden 22 Prozent dem Segment Mini zugerechnet, weitere 20 Prozent dem Segment der Kleinwagen.

Da überrascht es nicht, dass Merlin Ouboter das Potenzial für Leichtfahrzeuge als „riesig“ einschätzt. Gleichwohl sei der Markt noch sehr überschaubar. „Wirklich viel gibt es nicht“, sagt der Mitgründer von Microlino und nennt den Opel Rocks-E, der wie der Citroën Ami ein Fahrzeug der L6e-Kategorie ist. In der L7e-Kategorie sind Fahrzeuge wie der Microlino bis zu 90 km/h schnell, man kann bis zu 230 Kilometer weit kommen, das reicht für den Pendelverkehr in Metropolen.

Mobilität profitiert von Leichtfahrzeugen

Leichtfahrzeuge sind motorisierte Fahrzeuge, die deutlich kleiner und leichter sind als ein klassisches Automobil. Aufgrund ihres Größenvorteils nehmen sie im ruhenden und fließenden Verkehr weniger Platz ein und verbrauchen über ihren Lebenszyklus weniger CO2, Ressourcen und Primärenergie.

In Europa regelt die Fahrzeugklasse L die Bedingungen für leichte ein- und zweispurige Kraftfahrzeuge. Die L-Klasse umfasst zweirädrige, dreirädrige und vierrädrige Kraftfahrzeuge ab 25 km/h, die gemäß Artikel 4 zum Fahren auf öffentlichen Straßen bestimmt sind.

Die Fahrzeugklasse L ist in sieben weitere Unterklassen gegliedert. Fahrzeuge der Klasse L1e, L2e und L6e sind zulassungsfrei und benötigen lediglich ein Versicherungskennzeichen, während für die Gruppen L3e, L4e, L5e und L7e ein Kfz-Kennzeichen erforderlich ist. Zum Steuern von Fahrzeugen der Klasse L7e ist ein Führerschein Klasse B (wie Pkw) erforderlich, die Klassen darunter dürfen zum Teil bereits mit Führerschein ab 16 Jahren gefahren werden. Quelle: Bundesverband eMobilität BEM

Batterieelektrisch betriebene Leichtfahrzeuge seien in der Herstellung, in der Nutzung und in Bezug auf den Flächenverbrauch nachhaltiger als die Produkte der etablierten Automobilindustrie, heißt es unisono. „Die Batterie eines Audi Q8 wiegt so viel wie ein Microlino mit zwei Personen, der nur ein Drittel der Parkfläche im Vergleich braucht“, bringt Mobilitäts-Experte Kleebinder die Unterschiede auf den Punkt.

Und kritisiert sogleich die Förderpraxis: Es sei vollkommen absurd, den Kauf eines 2,8-Tonners mit 9.000 Euro zu fördern und eine Vergütung über CO2-Pooling zu gewähren, nicht aber den Kauf eines elektrisch betriebenen Leichtfahrzeugs. Diese Unterschiede verzerrten den Wettbewerb brutal und verzögerten die notwendige Mobilitätswende weiter. „Eine gerechte Förderung muss auch alternative nachhaltige Ansätze berücksichtigen“, mahnt er.

Merlin Ouboter verweist auf Italien, die Niederlande und Spanien, wo Förderung helfe, die Mobilitätswende zu schaffen. In Frankreich könne der Ami für rund 7.000 Euro erworben werden, dazu komme eine Förderung von 900 Euro. So etwas gibt es in Deutschland nicht. „Enttäuschend“ sei das, und „langsam ein bisschen peinlich“, sagt Ouboter.

Seit Anfang September wird der Microlino in der Fiat-Heimat Turin gebaut, die Zulieferer kommen zum Teil aus dem Fiat-Konzern. Zurzeit werden zwei Fahrzeuge pro Tag gefertigt, die vor allem in die Showrooms gehen, aus denen heraus Testfahrten angeboten werden. Ziel sei, Ende des Jahres 25 Einheiten pro Tag zu produzieren. Dann könnten auch in Deutschland die ersten Fahrzeuge über die Straßen rollen, der Preis eines Isetta-Klons soll ab 15.000 Euro beginnen.

„Mit Leichtfahrzeugen hätten wir mehr Platz, mehr Parkraum, weniger Staus und einen eindeutig besseren Verkehrsfluss.“

Markus Emmert, Vorstandsmitglied im Bundesverband eMobilität (BEM)

Deutschland sei ein komplexer Markt, hier arbeite Microlino noch am Aufbau der Vertriebsstrukturen. „Wir wollen die Customer Journey komplett online abbilden. Nur so können wir die Preishoheit behalten. Wir möchten daher ein Agenturmodell aufsetzen. Hier suchen wir noch nach dem richtigen Partner.“ Dieser sollte über ein Filialnetz mit vielen Standorten vor allem in den Metropolregionen verfügen; Ouboter nennt München, Frankfurt, Köln, Hamburg und Berlin.

Erst 2024 soll das Mikroauto CT-1 erhältlich sein. Das L7e-Modell wird von dem in Tel Aviv beheimateten Unternehmen City Transformer entwickelt. Es soll eine variable Spurbreite haben, mit einer Batterieladung bis zu 180 Kilometer weit fahren und 90 km/h schnell sein. Als Kaufpreis sind derzeit 16.000 Euro angesetzt. Wo es produziert werden soll, ist noch offen.

Förderung würde den Markt verändern, ist BEM-Vorstand Emmert überzeugt, wobei diese auch regulatorisch erfolgen müsste. Bislang dominierten Autos und Lkw mit Benzin und Diesel das Denken in den Behörden. Damit sich elektrische Leichtfahrzeuge richtig nutzen lassen, müssten sie bei Verkehrsplanung und Städtebau aber mit bedacht werden.

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