09. Juni 2022 – WDR von Nina Magoley

„Für das Ziel 2035 müssen wir die Lademöglichkeiten massiv ausbauen“

Ab 2035 dürfen EU-weit keine Verbrennermotoren mehr zugelassen werden – so will es das EU-Parlament. Dabei ist Deutschland bei der E-Mobilität noch eine Wüste. Experte Markus Emmert sieht in dem Ultimatum dennoch eine Chance.

Das EU-Parlament hat sich am Mittwoch entschieden: Ab 2035 sollen EU-weit nur noch Autos und leichte Transporter eine Zulassung bekommen, die keinen Diesel- oder Benzinantrieb haben. Bevor diese Regelung in Kraft treten kann, müssen die einzelnen EU-Staaten noch zustimmen. Für viele klingt die Ankündigung wie ein Schock, Umweltverbände aber fordern sogar ein vorgezogenes Ultimatum für Verbrennermotoren.

Fakt ist: E-Autos werden mehr, aber an der nötigen Infrastruktur – wie ausreichend Ladesäulen – mangelt es noch gewaltig. Der Bundesverband EMobilität begrüßt die EU-Entscheidung als Interessenverband natürlich. Vorstandsmitglied Markus Emmert hält das Ziel 2035 auch für machbar.

WDR.de: Derzeit sucht man mit einem E-Auto manchmal lange nach einer freien Ladesäule, vor allem in der Stadt. Sind Sie zuversichtlich, dass es bis 2035 genügend Lademöglichkeiten gibt?

Markus Emmert: Die Bundesregierung geht davon aus, dass wir bis 2035 eine Million Ladepunkte brauchen. Unsere eigenen Studien kommen auf eine wesentlich niedrigere Zahl: 400.000 insgesamt, davon 300.000 Normallader und 100.000 sogenannte Fastcharger. Aktuell haben wir etwa 60.000 Ladepunkte – davon aber gerade mal etwa 10.000 Fastcharger.

NRW liegt bei der Ladeinfrastruktur im guten Mittelfeld. Ausruhen darf man sich darauf natürlich nicht. Für das Ziel 2035 müssen wir die Lademöglichkeiten massiv ausbauen – in den Städten und auf der Fläche. Selbst im Nirwana muss ich zuverlässig laden können. Dabei geht es auch um den Ausbau von Ladeinfrastruktur im privaten Bereich. Und privat heißt nicht nur zuhause, sondern auch beim Arbeitgeber. Da bedarf es noch viel mehr Sensibilisierung bei Arbeitgebern, ihre Parkplätze entsprechend auszustatten mit Lademöglichkeiten – und zwar nicht nur für Mitarbeiter mit Dienstwagen. Dazu braucht es auch eine geeignete Förderung.

WDR.de: Warum sind Fastcharger so wichtig?

Emmert: Weil durch ihre hohe Ladeleistung die Dauer des Ladens sehr kurz ist – und das ist entscheidend. Denn bei der E-Mobilität geht es eigentlich gar nicht um die Reichweite eines E-Autos, sondern darum, wie schnell ich zwischendurch nachladen kann. Wenn ich in fünf Minuten 300 Kilometer nachladen kann, braucht mein Akku keine 1.000 Kilometer Reichweite haben. Wenn ich das dann flächendeckend möglichst in ganz Europa machen kann, ist alles erreicht.

WDR.de: In Mehrfamilienhäusern scheitert die Installation einer E-Ladestation zum Beispiel in der Tiefgarage oft daran, dass das Stromnetz nicht ausreicht.

Emmert: Tatsächlich gibt es immer wieder auch physikalische Hürden, um es jedem Recht machen zu können. Deshalb ist es wichtig, andere Lösungen zu finden: Speziell in den Städten kann man sich fragen, ob wirklich jeder zwingend zuhause laden muss, oder ob es Alternativen gäbe – zum Beispiel beim Arbeitgeber oder durch Fastcharger-Hubs in der Stadt.

WDR.de: Die Bundesregierung will die bestehende Kaufprämie für E-Autos auf mehr als 70 Milliarden Euro aufstocken. Eine Studie hat festgestellt, dass mehr als zehn Prozent der Elektrofahrzeuge, für die in Deutschland ein Umwelt-Bonus beantragt wurde, nach nur sechs Monaten ins Ausland verkauft wurden. Das entsprach einer Fördersumme von rund 240 Millionen Euro. Ist eine Förderung sinnvoll?

Emmert: Lösen ließe sich dieses Problem zum Beispiel mit einer Haltedauerverlängerung oder Rückzahlung des Bonus, wenn das Auto das Inland verlässt. Auf Förderung allein sollten wir uns aber nicht verlassen – Elektromobilität muss irgendwann auch auf eigenen Füßen stehen. Eine Kaufprämie kann klug sein, wenn sie klug gewählt ist. Wichtig ist vor allem, zu schauen, was gefördert wird: Plug-in-Hybride zu fördern, macht sicher keinen Sinn.

Wichtig wäre es, den Fokus auf kleine und effiziente Fahrzeuge zu legen. Denn ob ein Auto, das ohnehin schon 150.000 Euro kostet und einen hohen Energieverbrauch hat, zwingend gefördert werden muss, wage ich zu bezweifeln.

WDR.de: Durch ausgefeiltere Sensorik, Fahrassistenzsysteme oder Infotainment steigt der Energieverbrauch von Fahrzeugen erheblich. Beim E-Auto geht das zulasten der Reichweite. Sind die derzeit angebotenen – halbwegs erschwinglichen – Modelle wirklich alltagstauglich?

Emmert: Diese neue Funktionen sind auch in Verbrennerautos Energiefresser, aber wichtig und notwendig, um sich sicher fortbewegen zu können. Das Thema Reichweite gerade beim Alltagsauto – ob Familienauto, Zweitwagen oder Pendlerauto – hängt untrennbar von einer zuverlässigen und flächendeckenden Ladeinfrastruktur mit guten Ladegeschwindigkeiten ab.

WDR.de: In NRW ist die Automobilindustrie ein wichtiger Wirtschaftsfaktor – vor allem die mittelständischen Zuliefererbetriebe. Welche Perspektiven haben diese Unternehmen?

Emmert: NRW hat auch sehr viel Spirit und Neues hervorgebracht, und es steckt dort gerade viel in der Pipeline beim Thema E-Mobilität. In NRW werden zum Beispiel E-Trailer entwickelt. Die alte Welt hat jetzt klare Vorgaben bekommen, den Transformationsprozess zu beschleunigen. Die neue Vorgabe der EU halte ich da für sehr hilfreich: Nun gibt es Klarheit für alle, wohin die Reise geht – die Wirtschaft kann planen und bekommt Investitionssicherheit. Jetzt muss der Bund allerdings noch bestehenden Gesetze und Verordnungen so anpassen, dass dieses Ziel auch erreicht werden.

Um das Ziel 2035 zu erreichen, braucht es ein Zusammenspiel der unterschiedlichen Akteure: Wirtschaft, Politik, Nutzer, aber auch der Branchen: Automobilhersteller, Zulieferer, Energiewirtschaft, IT-Branche, all das muss zusammen wirken.

WDR.de: Was muss noch geschehen, um den Verbrennermotor bis 2035 abschaffen zu können?

Emmert: Zum einen der Ausbau der Erneuerbaren Energien. Denn Elektromobilität punktet nur dann, wenn sie auf Basis von Erneuerbaren Energien fußt. Aber da ist noch ein anderer, wichtiger Aspekt. Momentan klingt das Thema vor allem so: Die EU verbietet Verbrennermotoren – was jetzt? Wir, die Bundesregierung und auch die Medien müssen viel mehr Gutes über diese neue Welt, die da auf uns zu kommt, berichten. Nicht immer nur von Verboten sprechen, sondern von den Chancen, die sich daraus ergeben. Dann fühlen sich die Menschen auch abgeholt.

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